Offene Backstube in Aying

Ein Ort, an den es mich immer wieder zieht, ist Aying, südöstlich von München. Ich mag die leicht hügelige Landschaft dort, den schönen Biergarten der Brauerei (lecker Bier und Schnitzel, oder auch Ochsenbäckchen!!!) und die Galerie Schmiede, die von einem eigensinnigen Apotheker betrieben wird (außerhalb der regulären Öffnungszeiten kann der Schlüssel für die Galerie bei ihm in der nebenan gelegenen Apotheke geholt werden).
Vor etwa zwei Jahren ist einer der ersten Bio-Bäcker Münchens, Fritz Mühlenbäckerei, nach Aying gezogen. Die neue, größere Backstube befindet sich direkt gegenüber der Ayinger Brauerei. An diesem Wochenende feierte „Fritz“ sein 25-jähriges Bestehen mit zwei Tagen Offene Backstube. Wie schon erwähnt, ist H. begeisterter Hobby-Bäcker. Einen Blick in eine Backstube wollten wir uns deshalb nicht entgehen lassen. Und ich hatte Lust, mich am Brezendrehen zu üben, ein Angebot aus dem fantasievoll zusammengestellten Programm (eine Alternative wäre Amerikanderbeschriften gewesen). Auf dem Gelände der Bäckerei durften wir zunächst eine besondere Art des Kornmahlens erleben, bei der dieser Arbeitsgang zum (belohnten) Fitnesserlebnis wurde.
Kurz nachdem wir uns zum Brezendrehen angemeldet hatten, standen wir auch schon in der Backstube. Der freundliche Bäcker, der uns unter seine Fittiche nahm, packte den Brezenteig auf den Tisch und ließ das erste (ansonsten Zeit raubende und wohl auch ziemlich anstrengende) Auseinanderziehen der Teigportionen von einer Maschine erledigen. Dann nahm er einen der Rohlinge und führte uns die wesentlichen Handgriffe routiniert vor.

Und dann waren wir an der Reihe: So ein Brezenteig ist ganz schön elastisch! Der Teigstrang muss mit richtig Druck bearbeitet werden, da er sich sonst fast gummiartig wieder zusammenzieht, um nicht zu sagen in Höchstgeschwindigkeit in seinen Urzustand zurückschnellt. In der Mitte sollte er dicker bleiben, die „Ärmchen“ dürfen lang und richtig dünn sein (warum, habe ich erst verstanden, als ich später sah, wie stark die Brezen beim Backen aufgegangen waren). Dann folgt das „Ärmchenverschlingen“: Das kann langsam geschehen, indem die Ärmchen zueinander geführt, einmal verschlungen und die Enden in Richtung dickerer Teil abgelegt werden. Oder schnell, wobei der Teigling angehoben wird und sich die Ärmchen einmal zum Verschlingen drehen. Enden danach wieder ablegen. Mit etwas Übung (wir durften je fünf Brezen schlingen, vor allem die Kinder in unserer Gruppe waren mit Feuereifer dabei – und wer sagt, dass eine Brezen keine Spiralform haben darf?) lagen unsere ersten selbst gedrehten Brezen vor uns. Wir sollten sie per Zettel als die unsrigen kennzeichnen und auf ein vorbereitetes Backblech legen. Die Brezenrohlinge wurden von den Bäckern noch per Hand mit Lauge eingestrichen und gesalzen. Danach kamen sie in einen Gärraum und schließlich in den riesigen Backofen.
Während des Backens konnten wir der professionellen Brezenzubereitung zusehen: Laugenbad, Salzen und Einschneiden hatten da ganz andere Dimensionen, trotzdem war noch immer Handarbeit dabei, mit sichtlicher Freude und viel Engagement ausgeführt! Schließlich kamen unsere Brezen aus dem Ofen und noch warm in die Tüte (bis auf die, die wir sofort probierten).
Wir sahen uns die Backstube in vollem Betrieb noch von einer Aussichtsgalerie von oben an, und probierten verschiedene Brotsorten (mir hat es das Brot der Essener angetan), die in kleine Probierhäppchen geschnitten in Körbchen bereit standen. Während wir noch kauten, wurden wir zu einem Vortrag eingeladen, den Fritz Schlund, der Gründer der Bäckerei hielt. Er erzählte sehr anschaulich und spannend von seiner Bäckerlaufbahn: Als Kind mit dem selbstgebackenen Brot der Mutter aufgewachsen, die Bäckerlehre bei einem schwäbischen Bäckermeister, der seinem letzten Lehrling „Fritzle“ noch einmal zeigte, wie „richtig“ gebacken wird. Die Begegnung mit Industriebackgut, Studium der Lebensmitteltechnologie in Berlin, Inspiration durch einen „Ballaststoff-Professor“, der in den späten 70er-Jahren den Wert von Vollkorn für die Verdauung erkannt hatte und sich entsprechend ernährte. Umzug nach München und Arbeit als Lebensmitteltechniker in einem größeren Backbetrieb. Der Wille, seine eigenen Vorstellungen vom vollwertigen Backen mit Getreide aus der Ökolandwirtschaft zu verwirklichen, was in die Gründung der Fritz Mühlenbäckerei in Haidhausen mündete. Von Anfang an machte Fritz transparent, welche Zutaten er verwendete. Weißmehle waren lange Zeit tabu. Doch die Haidhausener Mütter sorgten dafür, dass er nicht zu verbissen wurde: Sie überzeugten ihn, dass es doch besser wäre, sie würden Brezen aus Weißmehl bei ihm kaufen, als zu einem Bäcker gehen zu müssen, der mit sonst was für Zusatzstoffen arbeitet. Überhaupt scheint der Bäckereigründer immer wieder auf Herausforderungen ganz pragmatisch zu reagieren: Als die Erweiterung der Backstube in Haidhausen an ihre Grenzen stieß, sah er sich nach passenden Gebäuden außerhalb Münchens um. Das Wunschobjekt, eine alte Mühle oder eine ehemalige Brauerei, stand nicht zur Verfügung, also wurde unter großem finanziellen Einsatz in Aying gebaut. Eine Solaranlage liefert einen Teil des Stroms, die Öfen werden mit Holzpellets geheizt. Die Weite der neuen Backstube veränderte die Arbeitsabläufe und Kommunikation, woran sich Mitarbeiter und Chefs auch erst mal gewöhnen mussten. Was die Zukunft bringt: Drei Fragezeichen standen da auf Fritz Schlunds Stichwortzettel. Geplant ist neben dem normalen Backbetrieb Führungen und Backseminare zu veranstalten. Wenn sie sich so gestalten wie die Tage der Offenen Backstube, kann ich sie nur wärmstens empfehlen. Ach ja, und einen Bäcker, der sich umfassend Gedanken macht zu vollwertiger, gesunder Ernährung, Umweltschutz, Sinnhaftigkeit von Arbeit und wie all das miteinander zusammenhängt und wie wir – auch als Kunden – Einfluss nehmen, empfehle ich sowieso.