Kaffeerösten in Giesing

„Spinn nicht rum“, „Träum nicht“, „Du und deine verrückten Ideen“ – so was hat sicher jeder von uns schon mal gehört. In letzter Zeit scheint mir jedoch, dass Spinnereien, Träumereien und verrückte Ideen die allerschönsten Blüten hervorbringen. Na klar, auch die Realität will bewältigt sein; aber wie soll etwas, was noch nicht da ist, Wirklichkeit werden, wenn wir nicht spinnen, träumen und uns Spleens erlauben? Schließlich war das Automobil auch mal nichts anderes als eine irre Vorstellung – Fortbewegung ohne das Pferd, ja wo gibt’s denn so was?
Da hat also ein junger Mann in München-Giesing den verwegenen Einfall seinen Kaffee selbst zu rösten. Er kauft rohe Kaffeebohnen und einen wasserkocherähnlichen Röstapparat für den Hausgebrauch. Der erste Röstversuch misslingt kläglich. Der zweite ist auch noch nicht so doll – aber der dritte bringt einen sehr guten Kaffee hervor. Er schmeckt sogar so gut, dass der Do-it-yourself-Röster Harald Faust sich fragt, wie es sein kann, dass er mit einem so kleinen Gerät ein solches Aroma herbringt. Er fängt an, sich intensiv – es gibt keine Ausbildung zum Kaffeeröster in Deutschland – mit dem Kaffeerösten zu beschäftigen und zu experimentieren. Bald bringt Harald Faust auch Freunden als Gastgeschenk statt Wein mal ein Päckchen selbst gerösteten Kaffee mit. Der gute Geschmack dieses Kaffees spricht sich herum, die Nachfrage steigt, aus dem Hobby wird ein Unternehmen: Bis Herbst 2011 noch in der Pilgersheimer Straße ansässig, befindet sich die Kaffee-Rösterei mit dem angeschlossenen Caffé Fausto in der Kraemer’schen Kunstmühle in Giesing am Auer Mühlbach.

Dort erzählt Harald Faust bei einer Besichtigungstour durch seine Rösterei von deren Anfängen. Wir gehen dann mit ihm auf die Reise, die der Kaffee einmal um die Welt angetreten hat: Als Wildpflanze zu Hause im Hochland von Äthiopien, gelangt er in den Jemen, wo er kultiviert wird. Es ist strengstens verboten, keimfähige Bohnen außer Land zu bringen. Ein Inder wagt es trotzdem, Kaffee wird in großem Stil in Indien angebaut (wer hätte das gedacht?). Über das Osmanische Reich kommt Kaffee, als Getränk, aber auch die Pflanze selbst, an die europäischen Königshöfe, von Frankreich nach Martinique und erobert von dort aus erst Mittel- und dann Südamerika, um auf seinen Heimatkontinent Afrika zurückzukehren. Wir erfahren, in welchen Breiten und Höhenlagen Kaffee gerne wächst, wie er geerntet wird, welche Sorten es gibt, dass sich meist zwei Samen – die wir als Kaffeebohnen bezeichnen – in der reifen, roten „Kirsche“ befinden. Sie werden entweder nass oder trocken aus dem Fruchtfleisch gelöst, danach noch das Pergamenthäutchen, das sie umgibt, entfernt. Nach Reinigen (von Steinchen, Ästchen) werden die Bohnen sortiert und dann geröstet. Harald Faust verwendet einen Trommelröster. Je nach Kaffeesorte werden die Bohnen darin mit heißer Luft umspült oder kommen unter ständigem Wenden immer wieder direkt in Kontakt mit der heißen Trommel. In Großbetrieben dauert der Röstvorgang 1-3 Minuten, bei Harald Faust sind es 16-19 Minuten. Die langsame und schonende Röstung scheint das Geheimnis des Aromas zu sein – und dabei will noch jede Kaffeesorte auf ihre Weise behandelt werden, damit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Säure, Körper und Aroma entsteht. Durch einen Luftstrom werden die gerösteten Bohnen auf einer Art Riesensieb abgekühlt, der Röstvorgang also gestoppt, und die Bohnen dürfen anschließend nach Sorten getrennt in kleinen Silos noch „ausgasen“. Dann kommen sie in Ventilbeutel (so was hatte ich zuvor noch nie gesehen) können weiter „ausatmen“ und sind doch luftdicht verpackt.
Bei der Zubereitung von Kaffee hat sicher jeder seine Vorlieben. Je länger das Kaffeepulver in Kontakt mit dem heißen Wasser ist, um so mehr der natürlichen Säure wird gelöst, das Aroma kann dann leiden. Was ich nicht wusste, ist, dass das Koffein länger im Körper bleibt, wenn man Kaffee mit Milch trinkt – ich muss meine Kaffeetrinkgewohnheiten wohl mal überdenken. Auf jeden Fall werde ich ein paar der Kaffeesorten durchprobieren, mit dem Indian Monsooned Malabar habe ich heute angefangen – köstlich, auch ohne Milch! Oder ich setze mich ins Caffé Fausto, genieße dort eins der Käffchen und spinne eigene verrückte Ideen.