Das Allgegenwärtige

Die Frauenkirche ist das unbestrittene Wahrzeichen Münchens. Markenzeichen der Stadt ist jedoch etwas – wenn auch auf andere Art – ebenso Allgegenwärtiges: das Münchner Kindl. So wird der Mönch auf dem kleinen und großen Stadtwappen bezeichnet, der an das Kloster erinnert, das als Keimzelle Münchens gilt. Es hat wohl einst dort gestanden, wo sich heute der Alte Peter befindet, also auf der kleinen Anhöhe unweit vom Marienplatz. Wer dort in der Altstadt die Augen offenhält, der entdeckt das meist in den Stadtfarben Schwarz und Gold gekleidete Kindl fast überall. Manchmal verbirgt es sich auch an Fassaden, wie etwa in der mächtigen Figurengruppe über dem Westportal der Heilig-Geist-Kirche, wo es mir erst auffiel, als ich ein Foto davon genauer betrachtete. Die eine Hand hat es zum Schwur erhoben, in der anderen hält es ein Buch. Andere Darstellungen zeigen es mit Maßkrug und Rettich. Der Geschichte der Wappenfigur und ihre Wandlung vom Mönch zu einem niedlichen kleinen Jungen und schließlich zum Mädchen widmet sich das 1999 erschienene Buch „Das Münchner Kindl. Eine Wappenfigur geht eigene Wege“, das in Zusammenarbeit mit dem Münchner Stadtmuseum entstand und von Florian Dering herausgegeben wurde. Es zeigt anhand einer Fülle von Beispielen, wie das Münchner Kindl im Laufe der Jahrhunderte ganz unterschiedlich gesehen und eingesetzt wurde.

Den Titel schmückt eine meiner Lieblingsdarstellungen: das Münchner Kindl auf Rollschuhen und mit wehendem Haar. Es entstand 1910 als Postkartenentwurf. Auch der Tierpark Hellabrunn warb mit der Wappenfigur: Auf einem Plakat von 1911 reitet das Mönchlein auf einem Nilpferd. Und das sind nur zwei Beispiele dafür, wie das Markenzeichen Münchner Kindl genutzt wurde: Es ziert Maßkrüge oder wurde selbst zum Figurenkrug, ist auf Schnupftabakdosen, Streichholzschachteln, Maibäumen, Faschingsorden und allem, was ihr euch nur denken könnt, zu sehen und wurde für jede Art von Reklame sowie für politische Zwecke verwendet bzw. auch missbraucht. Heute finden wir es auf U- und Trambahnen sowie Kanaldeckeln wieder, es gibt die Senfmanufaktur Münchner Kindl Senf, den Münchner Kindl Lauf, selbst Brot, Stollen sowie allerlei Einrichtungen für Kinder tragen diesen Namen. Einmal im Jahr erwacht das Münchner Kindl zum Leben: Es reitet – verkörpert von einer jungen, meist blonden Frau – auf einem Pferd beim Einzug der Festwirte voran. Auch beim Schäfflertanz, der ja nur alle sieben Jahre stattfindet, habe ich es schon gesichtet. Viel Spaß hatte ich an einem Foto auf dem Titel des SZ-Magazins vom 22.2.2002 und das ich aufgehoben habe: Es zeigt eine Großaufnahme des damaligen Oberbürgermeisters Christian Ude in schwarz-goldener Kutte. Am meisten fasziniert mich jedoch eine Skulptur im Tal: Ich vermute, sie zeigt die dunkle Seite des Münchner Kindls – oder soll es als so eine Art Gegenzauber Feinde abschrecken und in die Flucht schlagen?

Übrigens: „Münchner Kindl“ dürfen sich alle Menschen nennen, die in München geboren wurden. Und natürlich sind nur sie, sie allein, „echte“ Münchner.