Craft aus dem Umspannwerk

Mein erster Post in diesem Blog drehte sich um Glühbier, das wir 2011 mit großem Genuss auf dem Münchner Weihnachtsmarkt tranken. Mit ihm entdeckten wir das Giesinger Bräu und wurden Fans dieser Biermanufaktur & Spezialitäten Braugesellschaft. Zum einen war ihre Geschichte einfach zu schön: eine Mikrobrauerei, die köstliches Bier in einer Untergiesinger Garage braute und zweitgrößte Privatbrauerei der Stadt wurde – weil nahezu alle anderen Münchner Brauereien großen Konzernen angehören. Die Brauer vom Giesinger Bräu erlaubten mit ihrer Arbeit einen ziemlich direkten Einblick in den Brauprozess: Sie ließen ihre Kunden auf irgendwie ganz selbstverständliche Art an ihrer Leidenschaft für das Brau-Handwerk teilhaben und machten deutlich, dass Bier nicht nur Massenware sein muss. Es kann, als ein natürliches Lebensmittel, auch Seele haben. 2014 fand die Brauerei im ehemaligen Giesinger Umspannwerk in Obergiesing ein neues Zuhause. Dort können statt 1900 nun bis zu 15 000 Hektoliter im Jahr gebraut werden. Dabei bleibt sich die Brauerei treu und produziert weiterhin unfiltriertes Bier, das auch nicht thermisch erhitzt wird. Ins Bräustüberl war gestern eine Schar von Bloggern eingeladen, um die neuesten Kreationen zu verkosten. Zum Tag des Deutschen Bieres, am 23.4.2015, schickt Giesinger Bräu eine Viererbande an den Start: vier obergärige Sude, die die Craft-Beer-Szene bereichern sollen. Geschäftsführer Steffen Marx war in seiner Willkommensrede wichtig zu erwähnen, dass alle Giesinger Biere, auch die Standardsorten, „Craft“ sind – eben traditionelle Handwerkskunst. Und doch: Der Stolz über und die Freude an den neuen Spezial-Bieren – sie sind übrigens vorerst auf jeweils sechs Hektoliter limitiert und beim Giesinger Bräu selbst und im gut sortierten Getränkehandel erhältlich – waren nicht zu übersehen.

Im nett eingedeckten Sudhaus begann unsere Geschmacksabenteuerreise mit dem Lemondrop Triple (7,5 % Alc.): Es erinnert an belgische Trapistenbiere und verdankt seine Frische einer besonderen Hopfensorte aus den USA: der „Lemondrop“, die in einem Glas zum Beschnuppern herumgereicht wurde und mich an Zitronengras erinnerte.
Ein Hauch von Schokolade, ich würde ja sagen „Kaffeesahne“, zeichnet das Wheat Stout (4,0 % Alc.) aus. Sein Aroma verdankt es Röstgerste und Röstmalz sowie einem hohen Weizenanteil. Mein Favorit war allerdings das Doppel-Alt (7,0 % Alc.), wegen seiner Geschmacksbandbreite: Es fängt süffig, karamellig an und geht dann sachte, aber bestimmt in wunderbare Bittertöne über – was ich persönlich sehr mag. Craft-Bier Nummer 4, das Baltic Rye Porter (6,7 % Alc.), verdankt seine Vollmundigkeit fünf verschiedenen Malzsorten, darunter drei Roggensorten. Und es wartete beim Läutern, so erzählte Simon Rossmann, der für die Getränketechnologie zuständig ist, mit einer kleinen Überraschung auf: Dauert dieser Prozess gemeinhin ca. 80 Minuten, waren es hier sieben Stunden. Wie wir nachher erfragten, lag das an der Dichte des Roggens und seines Klebereiweißes. Die Flüssigkeit sickert nur langsam durch, wenn ich es richtig verstanden habe. Ein Grund, warum in größeren Brauereien nicht mit Roggen gebraut wird: Es kostet zu viel Zeit. Wer trinkt, muss auch essen, und so fuhren unsere Gastgeber ein paar Schmankerl auf, die uns wieder Boden unter den Füßen gaben. Mit dem Sternhagel durften wir dazu Bier Nummer 5 testen: die Mutter alle Starkbiere, wie die Giesinger selbst es nennen. Dafür kommt es allerdings ziemlich spritzig daher und steigerte unsere Beschwingtheit um weitere Grade. Mein Begleiter und ich hatten einen umwerfend köstlichen Abend. Und gerade als wir dachten, schöner kann’s nicht mehr werden und gehen wollten, stand noch eine kleine Führung in den Gärkeller auf dem Programm. Dort besichtigten wir die Schrotmühle und die Malzsilosäcke, die offenen Gärbottiche und Lagertanks. Einige Mittester waren so clever und hatten ihre Gläser mit dabei, denn das gelagerte Bier durfte gezapft und probiert werden. Das war der Moment, in dem Steffen „Zauberhand“ Marx wieder einen Auftritt hatte: Wir hatten ihm diesen Beinamen schon im Sudhaus gegeben, da er beständig wie aus dem Nichts an unserem Tisch auftauchte und Bierflaschen öffnete, Bier einschenkte, frische Gläser auftischte oder eben mit Extra-Gläsern plötzlich im Keller stand – wir haben uns wunderbar umsorgt gefühlt. Als „Wegzehrung“ bekamen wir am Ende des Abends noch ein kleines Kistchen mit, der Tag des Deutschen Bieres kann also ausgiebig gefeiert werden!

Übrigens habe ich an diesem Abend eine weitere Köstlichkeit entdeckt: das Hausbrot, das mit Biertreber gebacken wird. Es war so luftig-leicht und knusprig, dass ich sämtliche Brezen dafür liegen ließ. Bisher wird es nur im Bräustüberl gereicht, aber mit viel, viel Glück und einem zweiten Backofen in Zukunft vielleicht auch außer Haus verkauft.