Eine Frau isst pink

Als ich noch ein sehr kleines Kind war, gehörte Rote Bete zu meinen Lieblingsgemüsen. Das lag sicher an ihrer sanften Süße und der ganz und gar ungewöhnlichen Farbe, diesem Dunkelrot, das einen magentafarbenen Saft abgibt. Meine Eltern und ich lebten damals im ersten Stock eines Fachwerkhauses in der Altstadt in sehr bescheidenen Verhältnissen. Unsere Vermieter waren ein älteres Ehepaar, Tante und Lilli (das war mein Spitzname für den Mann). Es hielt im gepflasterten Hinterhof Hühner, die ständig von Ratten bedroht waren, in einer Voliere pfiffen Kanarienvögel und badeten Mandarinenten. Es gab auch einen kleinen Teich mit Seerosen, jedoch keinen Garten, in dem man Gemüse hätte anbauen können. Doch Tante und Lilli besaßen auch einen Schrebergarten am Ortsrand. Zur Erntezeit kam reichlich Gemüse ins Haus, Rote Bete wurde in Einmachgläsern süß-sauer eingelegt. Ich erinnere mich, dass ich zwar die Bete essen durfte, es mir aber verboten war, den Einlegsud zu trinken. „Warum?“, wollte ich wissen, denn die Erwachsenen taten es ja ungehemmt und mit Genuss. „Das verdünnt das Blut“, wurde mir geantwortet, was für große Menschen gut, für kleine aber anscheinend irgendwie gefährlich war: kulinarische Schauermärchen!

Vor ein paar Jahren entdeckte ich vorgegarte Rote Bete für mich, die sich prima und in Windeseile klein schneiden und mit einem selbst angerührten Dressing verfeinern lässt – wenn man nicht ständig zu Roter Bete aus dem Glas greifen möchte. Letzte Woche probierte ich mal eine neue Kombination aus. Zu den Rote-Bete-Stiften oder -würfeln gab ich eine geschälte und ebenfalls gewürfelte Orange. Ja, wer Muße hat und Geduld besitzt, filetiert sie vorher. Ich erfreue mich lieber an den Gesundheitsstoffen in der weißen Orangenhaut und dem prächtigen Pink-Ton, den dieser Teil in Kontakt mit Rote-Bete-Saft annimmt. Als schnelles Dressing rührte ich Weißweinessig mit ein wenig Orangenmarmelade, Salz, Pfeffer, Currypulver und Distelöl an und gab es über Frucht und Gemüse, einmal durchmischen und fertig war die fruchtig-feine Winter-Vitaminspritze vom Teller. Und natürlich trank ich mit Genuss den Rest der Vinaigrette – inzwischen bin ich ja im Blutverdünnungsalter.