Im Inneren der Mühle

Vor rund zwei Jahren hat mein liebster Niederrheiner eine neue Leidenschaft entdeckt: das Brotbacken. Es war eine Freude mit anzusehen, wie er sich durch Lesen und Experimentieren (Opa Alfred, selber Bäcker, hatte eine große Backbuch-Bibliothek hinterlassen) alles über Sauerteig ansetzen und pöngeln, Führung, Schwall, Backfehler und Mehl beibrachte. Und wir durften all die leckeren Brote (z.B. Walnuss-Cranberry oder “Ammonitenbrot”) probieren. Heute ist es fast selbstverständlich, dass H. am Wochenende knuspriges Brot aus dem hauseigenen Backofen zieht. Allerdings: Ohne Mehl kein Brot! H. begann, die Mehle der Hofbräuhaus Kunstmühle in der Münchner Neuturmstraße zu verarbeiten. Irgendwann fanden wir heraus, dass es die letzte produzierende Getreidemühle in München ist und sie besichtigt werden kann.
An einem Freitag im November standen wir also vor dem Mühlenladen, in dem es die Mehle zu kaufen gibt und der in einem Wohnhaus aus dem 19. Jh. untergebracht ist. Hinter der gutbürgerlichen Fassade verbirgt sich in einem Teil des Hauses auf mehreren Stockwerken die Mühle. Wie uns der nette Gruppenleiter erzählte, war sie zunächst “königliche Malzmühle” und gehörte zum Hofbräuhaus, das in unmittelbarer Nähe liegt. Mit dem Umzug der Brauerei nach Haidhausen wandelte sich die Mühle von einer Malzbrecherei zu einer Kunstmühle: “Kunst” bezeichnete damals die neuesten technischen Geräte, in diesem Fall die neuen Walzenstühle. MIt ihrer Hilfe wurde nun helles Mehl aus Weizen gemahlen – bis 1967 noch mit Wasserkraft.

Die Walzenstühle sind bis heute in Betrieb, arbeiten nach wie vor einwandfrei und sind dazu noch nett anzusehen. Bei unserem Gang durch die Mühle erfuhren wir anschaulich, was Schrot, Grieß und Dunst sind, dass die Mühle alle Pizzabäcker in München mit ihrem Mehl beliefert und die Rutsche für die Mehlsäcke sehr gern von Kindern benutzt werden würde, um in die tiefer gelegenen Etagen zu sausen: Ist aber leider nicht erlaubt!
Stefan Blum, der die Mühle in vierter Generation betreibt, hat sich und vielen seiner älteren Münchner Kunden 2010 noch einen Wunsch erfüllt: Gleich neben dem Mühlenladen gibt es die Bäckerei “Knapp & Wenig”. Der Name ist kein Witz, sondern geht auf zwei Vorfahren des Müllermeisters zurück. Dort werden Brote, Semmeln und anderes Gebäck nach traditionellen Münchner Rezepten in Handarbeit hergestellt und angeboten, etwa Maurerlaibl, Pfennigmuckerl, Riemischweckl und Milchhörndl sowie Bamberger Hörnchen und Münchner Schwarzbrot. Wir haben die Brezn und die Pfennigmuckerl probiert (sehr fein!), und H. fühlte sich beim Anblick der kleinen Backstube mit ihren Geräten hinten im Laden direkt in seine Kindheit versetzt – in Opa Alfreds Backstube in einem kleinen Ort am Niederrhein.