Ein alter Beitrag von November 2018, mal nach vorne geholt.
Orte tragen Bedeutung. Die Geschichte einer Stadt hat auch immer mit den Geschehnissen an ihren Plätzen, in ihren Straßen und Gebäuden zu tun, mit den Handlungen und den Leben der Menschen der jeweiligen Epoche. Bestimmte Ereignisse liegen dort – eigentlich nur durch die Zeit getrennt – in mehreren Lagen oder eben SCHICHTEN übereinander. Manchmal sind sie noch zum Greifen nah, weil die Atmosphäre auch Jahre später dort noch von ihnen geprägt wird, manchmal erinnern wir durch Denkmäler oder Gedenktafeln und Museen an sie. In München sind die unterschiedlichen Zeitebenen unter anderem am Königsplatz besonders greifbar: Entworfen nach dem Vorbild der Akropolis wollte sich König Ludwig der I. mit dem von den Propyläen, der Glyptothek und der Staatlichen Antikensammlung gesäumten Platz im 19. Jh. ein Stück Athen an die Isar und in die Residenzstadt der Wittelsbacher holen. Er trug damit viel zur Pracht von München bei, die auch heute noch Besucher aus aller Welt beeindruckt. Sehr viel später, ab 1934, ließen die Nationalsozialisten – München war für sie die „Hauptstadt der Bewegung“ – den Königsplatz zu einem ihrer Machtzentren umgestalten. Führerbau und Ehrentempel wurden errichtet, alles Grün durch Granitplatten ersetzt, damit hier die Anhänger der NSDAP aufmarschieren und ihre Kundgebungen abhalten konnten. Bereits 1933 hatten nationalsozialistische Studenten und Professoren auf dem Königsplatz die Bücherverbrennung „verfemter Autoren“ organisiert. In unserer Zeit durchschneidet eine Verkehrsstraße den Königsplatz, er ist sowohl Erinnerungsort als auch eine Sehenswürdigkeit der Stadt, bietet eine große Fläche für Kino- und Konzertveranstaltungen sowie für größere Demos, etwa gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Atomkraft, für Tierrechte.
Mit Bedacht hat der Aktionskünstler Dr. Walter Kuhn den geschichtsträchtigen Königsplatz für seine Installation „Never again“ gewählt. Er erinnert mit Tausenden von Mohnblumen aus Kunstseide an den 11. November 1918. An diesem Tag wurde der Waffenstillstandsvertrag von Compiègne unterzeichnet, womit der Erste Weltkrieg endete. Mit Mohnblumen (Poppies) wird, vor allem in England und den USA, der zahl- und namenlosen Gefallenen und Kriegsopfer beider Weltkriege gedacht, denn oft war es diese Pflanzen, die als erste auf den Schlachtfeldern und Grabhügeln blühte. Eröffnet wird die Installation offiziell zwar erst am 11.11.2018, aber schon jetzt entfaltet sie eine unfassliche Faszination. Das Symbol der Trauer ist auch eine Symbol des Lebens schlechthin, da die Blume als Pionierpflanze sich als erste auf verwüsteten Flächen ansiedelt – sie geht dahin, wo’s wehtut, könnte man sagen, und sorgt auch dank ihrer Farbe für neue Lebendigkeit. Die Mohnblume soll nach dem Willen des Künstlers in diesem Werk zur Mahnblume werden: Sie fordert auf, sich für Frieden (ja, der beginnt bereits bei und mit uns und im ganz Kleinen) und für weltweite Abrüstung einzusetzen, sich gegen nationalistisches Gedankengut und Menschenverachtung zu stellen. Gestern las ich im Spiegel noch über die Weltbürgerbewegung (was für eine Idee!) und musste an die folgenden schönen Zeilen von Erich Kästner denken, dessen Werke ja auch auf dem Königsplatz verbrannt wurden:
„Reicht euch die Hände, seid eine Gemeinde, Frieden, Frieden, hieße der Sieg. Glaubt nicht, ihr hättet Millionen Feinde, euer einziger Feind heißt – Krieg! Frieden, Frieden, helft, dass er werde, tut was euch freut, und nicht, was ihr sollt. (…) Schön sein schön, sein könnte die Erde, wenn ihr nur wolltet, wenn ihr nur wollt.“