Die Woche zwischen Volkstrauertag und Totensonntag ist ein guter Zeitpunkt, mal den Alten Südfriedhof in München vorzustellen. Seine Geschichte: Er entstand Mitte des 16. Jh. außerhalb der Stadt, um die vielen Pest- und Cholera-Toten aufzunehmen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er mehrmals erweitert und besteht heute aus zwei Teilen: Der nördliche hat einen sarkophagartigen Grundriss, der südliche einen quadratischen. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bomben einen Teil der Gräber, Verwaltungsgebäude, das Leichenhaus und die Arkaden. Seit 1944 finden auf der Fläche keine Beerdigungen mehr statt. Schon zuvor hatten die Stadtväter Bestattungen dort eingeschränkt, der Friedhof war „überbelegt“. Die Anlage, die zwischen Thalkirchner Straße und Pestalozzistraße liegt und sich fast vom Sendlinger Tor bis zur Kapuzinerstraße zieht, ist heute Park und zugleich ein interessantes kunst- und kulturhistorisches Denkmal. Da der Alte Südfriedhof bis Mitte des 19. Jh. Münchens Zentralfriedhof war, finden sich auf den Grabsteinen die Namen zahlreicher bekannter Persönlichkeiten des 18. und 19. Jh., darunter – nur eine kleiner Ausschnitt – die Baumeister Leo von Klenze, Friedrich von Gärtner, Gabriel von Seidl, die Physiker Georg Simon Ohm und Joseph von Fraunhofer, die Bierbrauerfamilie Pschorr, der Maler Carl Spitzweg, mehrere Hofschauspielerinnen und zwei der Schönen Münchnerinnen, die König Ludwig I. für seine Schönheitengalerie porträtieren ließ.
Der Alte Südfriedhof strahlt mit seinem wunderschönen Baumbestand Ruhe aus, ist wohl auch Mittagspausen-Oase für zahlreiche Angestellte und für jeden, der sich dem Trubel rundum mal kurz entziehen möchte, darunter viele kinderwagenschiebende Mütter oder Väter. Im Sommer habe ich schon Studenten zwischen den Grabsteinen auf Decken liegen und für Examen büffeln sehen – leider habe ich nicht drauf geachtet, ob sie dabei die Nähe bestimmter Geistesgrößen gesucht haben. Anzeigentafel geben Hinweis darauf, wo die Gräber berühmter Persönlichkeiten zu finden sind. Ich lasse mich meist einfach treiben und überraschen, welche Namen mir ins Auge fallen oder welche Grabsteine meine Aufmerksamkeit wecken. Oft lese ich auch nur die Vornamen, die schon von einer anderen Zeit erzählen: Roderich, Ottmar, Nepomuk, Johann Baptist, Cläre, Antonie, Walburga, Rosina, Josepha. Oder die Berufe, wobei die Frauen sehr oft „Steinmetzmeistersgattin“, „Privatiersgattin“ und in eher seltenen Fällen Sängerin, Hofschauspielerin oder gar Dichterin waren. Der Blick auf die Lebensdaten macht deutlich, wie kurz die Spanne eigentlich ist, die wir hier sind, eingebunden in eine Zeit, ihre Gesellschaftsform und -normen, wie unterschiedlich unser Wirken ist. Und ich frage mich, zwischen all diesen Gräbern, was ist wirklich wichtig? Mir fällt nur „Carpe diem“ ein, ganz hier, ganz jetzt, ganz ich zu sein – oder es zumindest zu versuchen.
Als ich den Friedhof verlasse, komme ich an einem Grabstein mit einem ungewöhnlichen Namen vorbei. Er bedeutet, wie ich nachher herausfinde, „die Heitere, die Frohgemute“.