Eine meiner größten Freuden ist, die eigene Stadt mit ganz anderen Augen zu betrachten: durch die Straßen zu streifen, mich überraschen zu lassen und zu staunen. Der fremde Blick fällt mir leicht, da ich die meiste Zeit unterirdisch unterwegs bin (U-Bahn-Abo) und ich so manches Viertel gar nicht wirklich kenne. Oder weil mancher Stadtteil sich rasant verändert hat, wenn ich ein Vierteljahr nicht dort war. Gestern ergab sich mal wieder Gelegenheit zum anders Sehen: Eine Bildhauer-Freundin hatte mich zu einer Vernissage im Rahmen der 11. „Kunst in Sendling“ eingeladen. Danach blieb nicht viel Zeit und Muße, mir auch die Arbeiten der anderen Künstler anzusehen. Das holte ich dann heute nach: in Läden, Büros, Hinterhöfen und sogar Wohnungen dieses Viertels unterhalb des Harras: „100 Künstler. 54 Standorte.“, sagt der über 200-seitige Katalog. Die Bandbreite der Werke ist riesig. Vieles hat mir gut gefallen, etwa die Skulpturen von Christa von Andrian, Objekte aus Büchern von Christine Reinstaedtler, die sinnigerweise in einer Buchhandlung präsentiert werden, die surreal anmutenden Fotos von Andrea Peipe und die zarten Skulpturen aus Draht und Japanpapier von Anni Rieck.
Tatsächlich war es aber auch ein großes Vergnügen, durch Sendling zu wandern: Einblick in sonst verschlossene Werkstätten und Ateliers zu bekommen, neugierig zu werden, auf Kneipen und Cafés dort (das Café KreisLauf wirkte einladend) sowie das anscheinend einst sagenhafte Lokal Centro Español (wie mir gestern vorgeschwärmt wurde). In der Sendlinger Kulturschmiede erfuhr ich, dass ohne eine kleine widerspenstige Bürgerbewegung in den 1970er-Jahren der Stemmerhof nicht mehr existieren würde. Er sollte einer Straße in Verlängerung der Lindwurmstraße gen Westen weichen. Die Häuserfassaden in Sendling tragen zum Teil wunderschöne Ornamente und Guerilla Gardeners haben nicht nur die Straßenränder begrünt. Am besten, ihr geht selbst auf Entdeckungstour: Kunst in Sendling findet auch noch morgen statt, von 14–19 Uhr. Es lohnt sich!