Bei der Heiligen Geistin von Urschalling

Zum großen Erstaunen meiner Eltern war ich als Kind an den großen Fragen interessiert: Woher kommen wir, wohin gehen wir, warum ist alles. Früh lernte ich, dass auch Erwachsenen vieles ein Rätsel bleibt. Vielleicht dachte meine Mutter deshalb, der Kindergottesdienst sei für mich eine gute Idee. Vielleicht wollte sie mich aber am Sonntagmorgen auch nur aus dem Haus haben, denn ich erinnere mich, abwechselnd mit gleicher Begeisterung Kirche und Kino besucht zu haben (was evtl. meine Liebe zum Magischen Realismus erklärt). Ich lernte Gott kennen (weißbärtiger alter Mann), Jesus (ein ganz schön frecher Junge aus einer mir nicht zugänglichen Zeit), Maria (Mutter Gottes – das lasse ich mir heute sehr gerne und sehr langsam auf der Zunge zergehen) und den Heiligen Geist (eine unbegreifliche Flammenzunge, die über mancher Menschen Köpfe schwebt). Religion wurde Teil meines Lebens, ich blieb aber eher immer fragend und forschend. Als 2004 Dan Browns Buch „Sakrileg“ erschien, fand ich es spannend, wie ganz neue Überlegungen die Runde machen können. Viele Menschen pilgerten nach Mailand, um sich das „Letzte Abendmahl“ anzusehen, auf dem womöglich Maria Magdalena neben Jesus sitzt – als seine Ehefrau oder Partnerin. Eine Arbeitskollegin von mir schlug damals vor: „Lasst uns doch mal zusammen zur Heiligen Geistin“ wandern, die sei in einem Kirchlein in der Nähe von Prien zu sehen. Meine Neugier war geweckt, allerdings brauchte ich schlappe zehn Jahre, um mir die Dreieinigkeit mit weiblichem Anteil vor Ort anzusehen.

In Prien geht es vom Bahnhof aus über die Alte Rathausstraße die Prien flussaufwärts, Richtung Elektrizitätswerk Siggenham, das heute ein Technikdenkmal ist. An der Grablmühle (mit Hinweis auf frische Eier) und der Hauskapelle der Müllerfamilie vorbei führt der Weg durch ein Wäldchen, zum letzten Mal über eine Prienbrücke und dann zum Örtchen Hoherting, wobei Apfelbäume, Milchkühe und ein Blick auf die Kampenwand entzücken. Nachdem wir die Schienen der Lokalbahn Prien-Hochaschau gekreuzt haben, sind wir auch schon fast in Urschalling. Instinktiv biegen wir irgendwann links ab und stoßen auf die schöne Mesner Stub’n hinter der sich der schlanke Turm der Jakobskirche erhebt. Die Kirche ist täglich von 9-19 Uhr geöffnet, der Altarraum mit den Fresken aus dem 14. Jh. kann allerdings nur im Rahmen einer Führung besucht werden (60 Euro die Stunde – da sollte es schon ein größeres Grüppchen sein). Durch die Gitterstäbe im Vorraum ist die Bemalung aber auch gut zu sehen. Wir kamen an, als gerade eine Führung zuende ging und wurden ganz wunderbar beschenkt: Die Gruppe sang eine Reihe von Chorälen, die den Raum zum Klingen brachten. Neben dem Dreifaltigkeitsfresko mit der Heiligen Geistin (eine langhaarige, weiblich wirkende Figur zwischen zwei bärtigen Männern, deren Kleidung sich vor der Frau in einem äußerst interessanten Faltenwurf trifft) gibt es auch ein Fresko, das die Hölle darstellt: ein Drache, in dessen Schlund Menschen stehen. Wir ließen unseren Besuch bei Entengröstl und Backhendl in der Mesner Stub’n ausklingen und wanderten talwärts Richtung bayerisches Meer, den Chiemsee. Schon von Weitem blitzte er hier und da zwischen den Bäumen hervor. An seinem Ufer übten wir noch Kini-Sein (ja, Frauen können das auch!), bevor uns der Meridian wieder nach München brachte.


Und wie halte ich es heute mit den großen Fragen? Ein nordamerikanischer Indianerstamm nennt Gott „Wakatonka“, was so viel wie „das große Geheimnis“ bedeutet. Das gefällt mir sehr. Und ich frage nicht mehr warum alles ist, sondern freue mich und staune darüber, dass alles überhaupt ist und ich daran teilhaben darf.