Vor längerer Zeit erzählte mir eine Freundin, sie würde von ihrem Chef am Jahresende immer zu einem Rück- und Ausblicksgespräch geladen – wie alle anderen ihrer KollegInnen auch. Da sie in einer Unternehmensberatung arbeitet, kommen dabei immer wieder Floskeln im Gespräch vor, die ich sofort wieder vergesse, etwa: „Welche Challenge willst du angehen, um mehr Results für deine Visibility und den Success der Firma zu leveragen“ – oder so ähnlich. Da mir als Freiberuflerin sowohl solche Gesprächsrunden als auch eine firmenorganisierte Weihnachtsfeier abgehen, beschlossen wir eine alljährliche Privataudienz, sozusagen. Seither nehmen I. und ich meist im Dezember z.B. ein Heißgetränk auf dem Weihnachtsmarkt zu uns und gehen danach Pizza essen oder zum Asiaten, oder bekochen uns zu Hause. Dabei rekapitulieren wir unser Berufsjahr, aber mehr noch, was sich sonst so bei uns getan hat. Von einer amerikanischen Beraterin haben wir die Idee übernommen, unser neues Jahr unter ein Motto zu stellen. Anstatt uns Ziele zu setzen, wählen wir ein Wort, das wir in den folgenden Monaten locker immer mal wieder ins Visier nehmen: Freude, Spiel, Präsenz, Mitte, Ausgeglichenheit – um zu schauen, wie es sich in unserem Leben entwickelt bzw. wie wir es verwirklichen.
Dieses Jahr führte meine Freundin mich netterweise zum Essen ins bayerische Voralpenland aus. Wir brausten durch den Sturm zum Oberen Wirt in Frieding, um bei Tellerfleisch und Schweinsbraten ausgiebig zu schnacken (wir Norddeutschen, wir). Beim branchenübergreifenden Austausch fiel uns auf, wie viel Angst, Stress und Nervosität viele arbeitende Menschen gerade haben und dass Globalisierung am eigenen Leib spürbar macht, welchen Wandel Menschen während der Industrialisierung durchlebt haben. In Zeiten solcher Veränderungen die alten Verhaltensweisen durch neue zu ersetzen, ist eine Herausforderung – auf vielen gesellschaftlichen Ebenen, wie uns klar wurde. Im immer noch heftigen Wind fuhren wir nach dem Essen auf den heiligen Berg, sprich Kloster Andechs, um uns eine lebende Krippe anzuschauen. Mensch und Tier stellten den Stall von Bethlehem nach, das sieht nett aus, für mich hat es aber auch ein wenig was von Zoo (stundenlang einfach dastehen und sich begucken lassen, das muss man aushalten). Unsere kleine Ausflugsrunde endete am aufgepeitschten Ammersee – für die kurze Illusion am Meer zu sein, Windsurfer inbegriffen. Schön heimelig am Kachelofen in einem Seecafé blickte ich auf mein Jahr zurück: ein neues Buch geschrieben, eins als Hebamme begleitet, ein weiteres druckfein gemacht, unzählige Texte Korrektur gelesen. Ein Tier einschläfern lassen müssen und es schmerzlich vermissen, Elternpflichten nebenher geschultert, zwei Ausstellungen organisiert und genossen, Spontanreise nach Hamburg, Sommerurlaub nach sehr langem Überlegen am See vor der Haustür, Kurztrip nach OWL und Bielefeld, viele bunte Treffen mit meinen allerliebbesten FreundInnen und Patenkind plus Geschwistern, virtuell und gelegentlich real mit netten BloggerInnen unterwegs gewesen, unzählige neue Atem- und Körpererfahrungen gemacht. Mein Motto für 2018 habe ich erstaunlicherweise vergessen. Es könnte aber Vielfalt gewesen sein.