Silvester musste ich an Ecki denken. (Nein, nicht der aus der Serie „Wilsberg“ – apropos: Erst Samstag habe ich sehr über die Dialoge in der neuen Folge gelacht: „Und Sie heißen …“ „Overbeck.“ „Sie haben sicher auch einen Vornamen.“ „Kommissar. Kommissar Overbeck.“) Ich schweife ab: MEIN Ecki war Biologe, er forschte über und an Menschenaffen, und ich wohnte während meiner Abschlussprüfungen an der Uni kurz mit ihm und einer weiteren Frau in einer WG zusammen. Nach Ecki konnten wir die Uhr stellen: Er stand immer zur selben Zeit auf, warf den Wasserkessel an, bevor er ins Badezimmer verschwand, um dann frisch geduscht seinen Morgentee in der Küche aufzubrühen und sich zwei Scheiben Brot mit Aprikosenmarmelade zu schmieren. So. Der. Ablauf. Jeden. Morgen. Punkt 17 Uhr kam Ecki aus der Uni zurück. Warf den Wasserkessel an. Wechselte in die Freizeitklamotten samt Puschen, brühte sich seinen Nachmittagstee auf. Schmierte sich … usw. Wie ein Hohepriester des Alltags zog er diese Rituale von Montag bis Freitag durch, war nicht ansprechbar und durfte nicht gestört werden. Meine andere Mitbewohnerin rannte einmal aus ihrem Zimmer in die Küche und schaltete dort das damals brandneue Morgenmagazin ein (wegen eines Erdbebens in San Francisco, oder so) – welch Frevel! Sie wurde in ihr Zimmer verwiesen und konnte den Fernseher gleich mitnehmen. Es war … faszinierend. Dass Ecki auch eine Laissez-faire-Seite haben musste, wurde mir erst klar, als ich mit Putzen dran war: Unter dem Läufer in unserem Flur lag ein noch unerforschter Teil der Sahara. Den ich aufkehrte. In den wenigen Jahren unseres Zusammenwohnens machten wir noch weitere heitere Erfahrungen: Darunter der Schrecken des großen Rumms, als im Treppenhaus des zum Runterwohnen an Studenten vermieteten Hauses ein großer Teil der Decke abbrach. Die frühmorgendlichen Gesänge von Mitgliedern einer benachbarten Freikirche, die einen gewissen „Herrn“ anflehten, unsere Seelen zu retten. (Gott, was waren wir verrucht!!!) Die Pflaumenschwemme einmal im Jahr, wenn unser Vermieter den streng abgeteilten größeren Part des Gartens aberntete und es dann wohl doch etwas zu schäbig fand, uns keine Früchte zu überlassen.
Schließlich kam dieser Neujahrstag, an dem ich völlig verkatert (von drei Gläsern Sekt) aufwachte und nichts, aber auch gar nichts meine Kopfschmerzen lindern konnte. Kein langes Schlafen, kein Wassertrinken, keine Tabletten. Gegen Abend, wir lagen noch immer im Bett, steckte Ecki den Kopf zur Tür rein und lud meinen damaligen Freund J. und mich zum Essen ein – es sollte Sauerbraten geben. Ums kurz zu machen: Ich überwand mich, aß – und es ging mir schlagartig gut. Wir hatten noch eine recht lustige Tischrunde.
All das fiel mir zu Jahresanfang wieder ein und ich bekam Appetit auf diesen Neujahrsschmaus. Allerdings wollte ich keinen ganzen Braten zubereiten. Ich marinierte stattdessen 400 g Rindergulasch mit je 2 grob zerkleinerten roten Zwiebeln und Knoblauchzehen, 2 Lorbeerblättern, etwas getrocknetem Thymian und 1 TL schwarzen Pfefferkörnern, 1/4 l trockenem Rotwein und 1/8 l Essig zugedeckt zwei Tage im Kühlschrank. Danach goss ich das Ganze durch ein Sieb ab, fing die Marinade auf und klaubte die Fleischstücke aus den Aromaten. In einem Topf habe ich dann 1 Zwiebel und Suppengrün, beides grob zerkleinert, in Öl angebraten, das Fleisch dazugegeben, kurz mitgebraten, alles mit der Marinade und 200 ml Brühe aufgegossen und 1 Stunde schmoren lassen. Danach goss ich die Sauce wieder durchs Sieb und gab sie mit dem Fleisch zurück in den Topf. Ich würzte mit Salz und Pfeffer und dickte alles, weil es mir zu flüssig war, mit etwas Speisestärke an: Fertig war das Sauer-macht-lustig-Gulasch.
Ecki würde vermutlich den Kopf schütteln: zu viel Fieselarbeit mit den Fleischstückchen. Aber geschmeckt hätte es ihm sicher auch – zu Knödeln. Mit Bröselbutter. Die zu einem Nostalgie-Essen unbedingt dazugehört. Nach dem Studium habe ich Ecki übrigens aus den Augen verloren. Aber inspirierend scheint er gelegentlich doch noch zu sein.