Es ist zwar schlimm, aber ich gestehe: Ich lese sehr gerne Schund – Schabbelromane, wie ich Bücher aus dieser Ecke nenne. Allerdings, für ein wenig Bildung (immer ein gutes Alibi), vorzugsweise auf Englisch, da heißen sie ChickLit, das klingt doch gleich viel cooler. Ja, sie haben etwas von Märchen, leichter Unterhaltung, und doch sprechen sie gleichzeitig oft ernste Themen (häusliche Gewalt, Depressionen) an oder informieren über zauberhafte Landstriche (was habe ich nicht alles über das Weinanbaugebiet rund um die Finger Lakes gelernt) oder ich erfahre von hippen Trends (Cookie Dough) lange bevor sie uns hier erreichen. Auf ein paar Autorinnen bin ich quasi abonniert – sie schaffen es einen Bestseller nach dem anderen rauszuhauen – auf andere stoße ich zufällig beim Stöbern in Overdrive, einer E-Book-Plattform für englische Bücher, die ich über meine Stadtbibliothek ansteuern kann. So lieh ich spaßeshalber Helen Hoangs „The Kiss Quotient“ aus und fand mich in einer Liebesgeschichte mit einer ungewöhnlichen Heldin wieder. Ein paar ihrer „Besonderheiten“ waren mir ziemlich vertraut, aber ich hatte da nie weiter drüber nachgedacht. Mich überraschte dann im Nachwort der Hinweis der Autorin auf die „Aspergirls“ und die Info, dass sich Asperger bei Mädchen und Frauen anscheinend anders ausdrückt als bei Jungen und Männern. Inzwischen informieren verschiedene Bücher über das Thema. Nach der Lektüre eines Bandes würde ich mich nicht unbedingt als Aspergirl bezeichnen – auch wenn ein enges Familienmitglied eine Asperger-Diagnose bekommen hat. Anscheinend sehe ich die Welt jedoch ebenfalls oft aus einem etwas anderen Blickwinkel und begreife sie manchmal nicht so wie meine Umgebung. Das angebliche „Normal“ kann ich nicht so gut, ich muss mich dazu zwingen. Irgendwann fragte ich mich, ob vieles davon nicht Prägung ist – ein traumatisierter Elternteil oder sogar zwei wurschteln sich in der Gesellschaft und ihren Normen und Zwängen halt irgendwie durch und haben dabei evtl. etwas eigenartige Alltagsbewältigungsstrategien entwickelt und weitergegeben.
Andere Bedürfnisse zu haben als die Mehrheit, macht das Leben im Alter nicht leichter, wie ich gerade beobachten kann. Bestimmte Arten der Versorgung passen dann nicht zu einem, etwa in einer Tagespflege mit Singen, Nachrichten vorgelesen bekommen, Tanzen im Sitzen oder ähnlichen Arten von außen kommender Bespaßung – das ist alles nur Stress pur, dem man sich freiwillig nie aussetzen würde. Auch die Lebensgeschichten anderer können unglaublich überfordernd sein – zu viele Informationen, zu viele Reize von zu vielen Seiten. Seither mache ich mir Gedanken: Da wir ja alle nicht jünger und manche von uns womöglich Aspergrannies oder HSP*-Omas und -Opas werden, brauchen wir schon bald alternative Altersversorgungen. Ein geschützter Bereich mit wenig Aufregung wäre prima, ideal das eigene Zuhause. Oder eine Alten-WG mit wenigen, engen und vertrauten Freunden. Aber, was, wenn das nicht geht? Ich hatte ja schon mal an Klöster gedacht, die sich für die Variante der zurückgezogeneren Lebensabende öffnen könnten. Gestern sah ich dann im Fernsehen das Modell Pflegeheim auf dem Bauernhof. Fand ich auch nicht schlecht, wenn man lieber mit Tieren und Pflanzen umgehen und sie versorgen mag, so gut man das weiterhin kann, oder im Garten in der Erde grubbeln möchte. Überhaupt scheint die Natur und der enge Kontakt zu ihr eine tief beruhigende Wirkung zu haben – ihr ist es ziemlich egal, wie man als einzelner Mensch tickt, sie wertet nicht, quatscht nicht auf einen ein und überfordert einen nicht mit aufgesetztem Jubel-, Trubel-, Heiterkeit-Gedöns. Zu sich und zur Ruhe zu kommen kann ein ebenso großes Bedürfnis sein wie überall mitzumischen. Schön wäre es, in jedem Alter die Wahl zu haben.
*HSP = Highly Sensitive Person
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