Letztens ging ich zum allmonatlichen Schweißer-Stammtisch bei „unserem“ Griechen. Wir treffen uns dort seit über 20 Jahren, weil unsere Werkstatt einst um die Ecke lag, das Essen dort sehr gut und die Wirtsleute ausgesprochen sympathisch sind. Wenn wir zahlen, geben sie uns, das hat Tradition, einen Schnaps aus. Seit zwei, drei Jahren dürfen sie das aber nicht mehr, weil ein neues Steuersystem umgehend jedes unberechnete, fehlende Gramm Schnaps dem Finanzamt meldet. So mal die Kurzversion und wie ich diese Bürokratie-mischt-Leben-auf-Geschichte begriffen habe. Für unsere Gastgeber ist das schwer auszuhalten, wohin nun mit ihrer Großzügigkeit? Anfangs versuchten sie es mit Strenge, „Schnaps ist nicht mehr“, sagten sie, eher, um sich selbst daran zu gewöhnen und ins Gewissen zu reden. Ab und zu bekamen wir aus unerfindlichen Gründen doch mal ein Gläschen, dann gab’s wieder ausschließlich alkoholfreie „Geschäftsabschlüsse“. Diesmal servierten sie uns Dessert: cremigen Joghurt mit Honig, Walnüssen, Trauben und dünn aufgeschnittenen Orangenscheiben sowie – weil wir nur ein Trio waren – drei Löffeln. So schlicht, so köstlich, so nett gemeinschaftlich zu essen. Ich frage mich, wie unsere Lieblingsgriechen DAS jetzt abrechnen.
Wie genial ist doch die Kombi aus Vollfettjoghurt (9,4 oder mehr Prozent) und Honig, fiel mir etliche Tage später beim Spaziergang entlang der Isar ein. Evtl. noch ein Hauch Zimt, spann ich weiter. Auf meiner Lieblingsstrecke gehen meine Gedanken immer auf Freiflug. Sie drehen Loopings zwischen dem, was das Auge gerade sieht, erinnern sich an Gelesenes, Erlebtes, Freudiges, Beglückendes, Aufgeschnapptes, Diskutiertes, Durchgekautes, Unverdautes, Unverschämtes. Oft laufe ich so lange, bis ich vergesse oder irgendwelche neuen oder interessanten Ideen hochploppen, das hängt von meiner jeweiligen Tagesform ab. Manchmal denke ich gar nicht, sondern nehme nur wahr. Im Frühjahr freue ich mich an der weichen, matschigen Erde, die aufnahmebereit für die neue Saat ist und auch gerne meine Schuhe vollsabbert. Ich freue mich an der Renaturierung des Flusses, die ihm seine Wildheit zurückgegeben hat, dieses breit ausufernde Sich-Raum-Nehmen, über den Pelikan – äh, Pelikan??? Ja, der hatte wohl Langeweile im nahe gelegenen Zoo und sah sich mal in seiner nächsten Umgebung jenseits des Geheges um. Auch nach Fischen. Bis er von Krähen aufgescheucht und sehr lange gejagt wurde. Und ich vorfreute mich auf die kommende Wildblüte am Ufer der Isar, ein kunterbunter Teppich an ihren Hängen. Und zack!, fand ich mich vor dem kleinen Schaukasten wieder, in dem ein lokaler Imker Isar-Honig anbietet. Das Volksbegehren für Artenvielfalt und griechischen Joghurt im Hinterkopf bediente ich mich: Das Ganze beruht auf Vertrauen – Geld einwerfen und eines von den frei zugänglichen Gläsern mitnehmen. Ich entschied mich für den Sommerhonig, den ich zu Hause umgehend pur probierte. Das war dann mein ganz persönlicher Marcel-Proust-Moment: Ein Löffel Honig und ich war wieder am Fluss, schmeckte die Kühle des Wassers, die kalkigen Steine, die Würze der Pflanzen. Und hatte diesen Satz im Kopf, den ich letztens in einer Folge von Sternstunde Philosophie gehört hatte: „Die Karte ist nicht die Landschaft“. Und erfuhr im Genießen ganz, wahres Erleben hat mit den eigenen Sinnen zu tun, mit bewusster Körperlichkeit und letztlich, überraschenderweise mit Sinnlichkeit, die im Englischen klugerweise auch „animalism“ heißt. Darüber sinne ich jetzt weiter nach, durchaus auch bei einem Schälchen griechischen Joghurt mit Isar-Honig – ja gut, auch Orangen und einem Hauch Zimt.