Jodeln … ohne Diplom

Hatte ich schon erwähnt, wie gern ich singe? Allein, zu zweit, im Chor, in einer Band, Jazz, Weltmusik, Pop, ein wenig Klassik. Ich habe schon viel ausprobiert, die Welt der Musik ist riesig. Am liebsten singe ich frei, ohne Vorgaben und Noten, wie es beim Circle Song üblich ist. Diese Art des Gesangs, bei der jede/r seine Phrase singt, die zusammen ein Gesamtlied ergeben, ist für mich so was wie die Idealvorstellung vom Leben miteinander: Die Vielfalt, die aus einzelnen Stimmen ein Ganzes ergibt. Die jeweiligen Stimmen regen einander an, spielen zusammen, sie wagen sich an Brüche und Veränderungen, klingen und schwingen in einem stetigen Wechsel – Überraschendes passiert, wird aufgenommen, ausprobiert, wieder gewandelt. Jede Stimme hat ihren Platz, trägt zum Ganzen bei, ist Teil davon, aber in einer bewussten Klarheit.
Seit Jahren – schließlich lebe ich in Bayern – wollte ich mich gerne mal im Jodeln ausprobieren. Nachdem Ilse mir einen Tipp für einen Jodel-Workshop im Sommer in Agatharied gegeben hatte, fiel mir ein, dass im Freien Musikzentrum in München im  Mai ein Kurs stattfinden würde. Bevor ich mich anmeldete, las ich in einem der kostenlos verteilten Wochenendblättchen von einer Veranstaltung des Münchner Kulturreferats: Ende April sollte ein zweiteiliger Jodelkurs im Hofbräuhaus stattfinden – ebenfalls kostenlos! Leider war er komplett ausgebucht. Und auch meine Teilnahme am Preisausschreiben des Wochenendblättchens bescherte mir nicht den in Aussicht gestellten letzten begehrten Platz in dem Kurs. Also doch Freies Musikzentrum. Letztes Wochenende war es so weit: Mit sieben weiteren Jodelwilligen weihte mich Sabine Grimm ins Jodeln ein. Dabei lehrte sie den Jodler, wie sie ihn als Kind in Tirol gelernt hatte: einfach übers Hören. Die erste Stimme sangen wir alle gemeinsam, die zweite sang Sabine Grimm einem von uns ins Ohr. War die zweite Stimme aufgebaut, sang sie die dritte Stimme und wer mochte, konnte sich zu ihr gesellen. Jodeln habe ich als ein starkes körperliches Ereignis empfunden: Die Töne gingen mir durch und durch. Ungewohnt sind für unsere Münder und Lippen die vielen „ö“- und „ä“-Laute, das „i“, das eigentlich zwischen „i“ und „ü“ liegt, und diese Vokale im Wechsel mit „d“, „j“ und dem gerollten „r“. Mein Kiefer war erst komplett verhakt, dann so entspannt wie schon lange nicht mehr.

Natürlich gab es „Loriot“-Momente: Wir schrieben uns die Silben auf, die wir sangen. Wenn du dir überlegst, ob es jetzt „Hulljodeldiridiridirö“ oder „Hulljodeldiridiridijo“ heißen muss, siehst du Evelyn Hamann mit erstaunt-entsetztem Gesicht direkt vor dir. Als wir uns nach ca. acht bis neun veschiedenen Jodlern fragten, ob wir uns all die Laute und Melodien würden merken können, versprach uns Sabine Grimm, sie würden schon bald einfach so in uns auftauchen. Und es stimmt: Nachdem mir nach dem Kurs alles entfallen war, singe ich seit gestern, wie aus dem Nichts: „Die Oim is kloa verdroad‘, die kloa verdroade Oim, die Oim is kloa verdroad …“
Ach ja, und mit den „Jodel-Pirouetten“ – etwa aus dem Musikantenstadl – hat diese Art des Jodelns gar nichts zu tun.