Neulich fragte ich mich, was eigentlich das Älteste (neben mir) in meinem Haushalt ist. Abgesehen von ein paar gesammelten Steinen, die bestimmt mehrere Millionen auf dem Buckel haben, und ein wenig Altmetall, ist die Greisin im Haus – meine Küchenschürze! Geschenkt bekam ich sie, als ich mit 19 Jahren von zu Hause auszog, und zwar von meiner Nachbarin Frau Bockermann. Sie war damals Ende 80 und hatte die Schürze in ihrer Verlobungszeit selbst genäht und bestickt. Das war in der Zeit noch Tradition, frau musste die Wartezeit bis zur Hochzeit ja irgendwie sinnvoll überbrücken. Die Stickereien und auch den Schnitt der Schürze finde ich zauberhaft, anfangs fürchtete ich mich, sie überhaupt zu verwenden, weil sie ja dann gewaschen werden musste. Mit 19 war ich in punkto Wäsche noch recht unsicher. Doch die Schürze ist aus robustem und doch feinem Leinenstoff und war ja mindestens schon 70 Jahre im Einsatz, hatte Zeiten mit Erstem und Zweitem Weltkrieg überstanden.
Frau Bockermann wollte mir etwas mitgeben, das mich an sie erinnert. An die Stunden, in denen wir zusammensaßen, erzählten und ich mit ihr Lieder wie „Wenn alle Brünnlein fließen“ oder „Kein Feuer, keine Kohle, kann brennen so heiß“ sang und uns dazu auf der Gitarre begleitete. Das machte ihr Freude und mir auch, von ihr lernte ich zuhören und ein Frauenleben kennen, das mir zeigte, wie viele Möglichkeiten Frauen meiner Generation offen standen, aber auch, wie Frauen ihrer Generation ihr Leben – in weiten Teilen männerlos – gestalteten, in die Hand nehmen mussten. Und nach Rückkehr der Männer aus dem Krieg, mit schwer traumatisierten Partnern klarzukommen hatten. Berührt hat mich auch, wie einsam es um einen wird, wenn Verwandte und Freunde gestorben sind, aber auch wie viel Energie Frau Bockermann jeden Tag aufbrachte, sich schön zu machen, sich liebevoll etwas zu kochen oder wie trickreich sie das Putzen zur allwöchentlichen Gymnastik umdeutete (man konnte sie durchaus bäuchlings unterm Fernsehtisch beim Staubwischen antreffen). Ihre Schürze hat mich auf meinem Weg ins wahre Erwachsenenleben begleitet, durch die Studienzeit, in die ersten Jobs, stand schon mit auf der Bühne (als Requisit für eine ungarische Köchin), ist so oft umgezogen wie ich, hat so manches erste Kochexperiment sowie einige Kochdesaster miterlebt, dicke Fett- oder Schokoflecken abgekriegt, war schon mehl- und puderzuckerüberstäubt und hat sich an den Leib besonders mutiger, Kochlöffel schwingender Männer geschmiegt. In Anbetracht ihres Alters lässt sie es nun ruhiger angehen, lange Jahre träumte sie im Kleiderschrank vor sich hin. Doch als Jubilarin wollte sie noch mal grüßen – auch Frau Bockermann, wo immer sie jetzt sein mag.