Was bin ich für ein Glückskind: Gebürtige Bayerinnen nehmen sich meiner Bavaria-Ausbildung an. Jedenfalls fand Ilse, die Leonhardifahrt in ihrem Geburtsort Grafing am gestrigen Sonntag, gehöre unbedingt zum Bavaria-Anschauungsunterricht. Wer kann schon einer Lehrerin widerstehen, die sich vergnügliche Lehrstunden für ihre Schülerin ausdenkt? Leonhardifahrten (die größte von ihnen in Bad Tölz) finden rund um den 6. November an vielen Orten in Bayern statt. Es ist der Gedenktag für den heiligen Leonhard, den Schutzpatron für landwirtschaftliche Tiere, vor allem Pferde. Bei einer solchen Fahrt, auch: Ritt, segnet ein Priester die Pferde, aber auch Esel und Kühe. Ich erinnere mich, im Skulpturenmuseum in Landshut kleine schmiedeeiserne Tiere aus der Sammlung von Fritz und Maria Koenig gesehen zu haben, die in Niederbayern als Stellvertreter für die echten Tiere mit in die Kirche genommen wurden. Ilse, ihre Schwester und ich starteten unseren Rundgang durch das festlich geschmückte Grafing so gegen halb elf. Zunächst sahen wir uns die Kirche St. Leonhard an, für die gebürtigen Grafingerinnen eine Premiere! Vor der Kirche stand bereits das Podest, von dem aus der Priester später Weihwasser auf die Vorbeiziehenden sprenkelte.
Um elf Uhr begann der Umzug mit festlich geschmückten Wagen, Tieren und Menschen, groß und klein, in prachtvollen Trachten und ganz wundervollem Kopfputz (allein die kunstvoll geflochtenen Haare der Frauen hätte ich stundenlang betrachten können). Dreimal umrundete der Zug die Kirche und wir fingen an, uns Gedanken über Brauchtum, Tradition, Rituale und Einbindung von einst Fremden zu machen, denn auch Siebenbürgen und Egerländer fuhren in ihren Wagen ganz selbstverständlich mit. Gewinnt eine Gemeinschaft nicht, wenn sie die Einflüsse vieler verschiedener Kulturen aufnimmt, sich von ihnen inspirieren lässt? Während wir noch theoretisierten, hatte die Grafinger Bürgermeisterin schon ganz praktisch gehandelt und nach der ersten oder zweiten Runde um die Kirche ihren Wagen afrikanischen Asylbewerbern überlassen.
Die vielen Eindrücke machten hungrig und so gönnten wir uns am Marktplatz noch eine kleine Weißwurst-Vorspeise, bevor es zu einem zünftigen Mahl nach Taglaching ging, wo mein schöner Unterrichtstag ausklang. Danke, liebe Ilse, und vielleicht wird’s ja mal was mit einem Ausflug in den Teutoburger Wald und ein paar Lehrstunden in Ostwestfalen.