Meine Nachbarin und ihr Freund sind sehr junge Rentner, die ein Häuschen in Italien haben. Alle paar Monate verbringen sie eine Zeitlang dort, während ich ihre Post betreue und sie über Wichtiges auf dem Laufenden halte. Als Dankeschön bringen sie mir dann Pesto, Gnocchi, Pasta in allen Farben und Formen, getrocknete Steinpilze oder was ihnen sonst so einfällt mit. Dieses Mal waren es eine besondere Tagliatelle-Sorte und Cantuccini. “Kennst du die”, fragten sie bei den harten Mandelplätzchen. “Die kannst du kaum kauen.” “Ja”, sagte ich, “deshalb wurde der Vin Santo erfunden.” Sie waren überrascht, dass ich diesen Dessertwein kenne. Das allererste Kochbuch, das ich betreuen durfte, wurde von einer deutschen Italien-Koryphäe geschrieben, die mich in alle Geheimnisse der norditalienischen Küche einweihte – dabei war ich zu der Zeit selbst noch nie in Italien gewesen. Bald konnte ich nicht nur eine Reihe von Spezialitäten aufzählen und kochen, ich kannte auch ihren italienischen Namen. Kaum 20 Jahre später fiel mir auf, dass ich Vin Santo aber noch nie probiert hatte. Meine Nachbarn auch nicht. Zwei Tage später klingelte es an meiner Haustür. “Augen zu!”, forderte mich meine Nachbarin auf. Während ich versuchte, nicht durch Blinzeln zu schummeln, drückte sie mir eine Flasche in die Hand: Vin Santo! “Ich werd’ bekloppt!”, staunte ich. “Das wollte ich hören”, antwortete die Italienbegeisterte. Vorgestern goss ich mir dann ein Gläschen der goldenen Flüssigkeit ein und stippte ein paar Cantuccini hinein, die sich sofort damit vollsogen. Kurze Zeit später hatte ich einen Schwips, war aber noch in der Lage, meiner Nachbarin ein Foto mit meinem herzlichen Dank fürs Betrunkenmachen zu schicken.
Gestern Abend klingelte es mal wieder an der Tür: Der Mann vom Asialaden nebenan stand davor. In der Hand hielt er eine große Tüte mit zwei thailändischen Gerichten und einer großen Portion Reis. “Für Herrn F.”, sagte er. Der müsse noch unvorhergesehen eine Taxifahrt machen und habe ihn gebeten, das Essen bei mir abzugeben. Hm, dachte ich: “Bin ich denn ein Kiosk, oder bin ich etwa ‘ne Bank oder seh’ ich aus wie ein Hotel … ” Komm schon, hab dich nicht so, meinte die gute Seele in mir und lagerte die Lieferung auf der Anrichte im Flur. Eine halbe Stunde später stand ein hungriger, völlig erschöpfter Nachbar vor der Tür – und ich freute mich auf einmal wirklich von Herzen, dass er was zu essen bekam.
Füttern und gefüttert werden – das scheint hier gerade das Thema zu sein, nicht das schlechteste, finde ich.