Wiesn-Flucht – ein Versuch

Geplant war das nicht. Es fiel mir erst im Fernbus Richtung Bodensee auf. Dort erzählte jemand einer Touristin aus Malaysia, er verlasse München jedesmal, sobald das Oktoberfest steige. Ach ja, dachte ich, eine der drei Möglichkeiten mit dem Wiesn-Wahnsinn umzugehen: 1. Ignorieren (fällt schwer bei Dauergegröle in der U-Bahn, jeder Menge „pavement pizzas“ und den vielen Lederhosen, Dirndln, Kropfbändern, Charivaris und gamsbart- oder federbestückten Sepplhüten), 2. Zwei Wochen Urlaub nehmen und JEDEN Tag von morgens bis abends auf der Bierbank hocken (ja, manche Fans hängen sich voll rein), 3. Raus aus der Stadt. Für mich war’s dieses Jahr letzteres, allerdings ganz unbeabsichtigt. Ich folgte einer Einladung, fuhr ans große Wasser, stieg auf einen erloschenen Vulkan und schlenderte durch eine schöne Stadt.


Und dann das: Ein Platz, ein Zelt, Bierbänke. Und im „Seehas“, einer Art S-Bahn, bestens ausgestattete Wiesn-Gäste, die sich hinter den Münchnern nicht verstecken mussten und bereits recht ausgelassen waren. Der Freund aus Irland meinte nur schulterzuckend, in Dublin hätten sie auch ein Oktoberfest, aber kein Mensch würde dort verkleidet herumlaufen. In meiner Heimatstadt, wohin ich weiterfuhr, feiert man ebenfalls Oktoberfest, klar, in Tracht – aber wirklich erst im Oktober! Als dann noch meine Freundin, die in Antalya lebt, erzählte, auch dort fände ein Oktoberfest statt, war mir klar, die Wiesn ist – vielleicht nicht immer – aber offensichtlich überall. Da freut es mich fast schon, dass viele Italiener sich noch die Mühe machen, am zweiten Wiesn-Wochenende nach München zu kommen. Aber: Es geht eben nichts über das Original. Das wurde mir deutlich, als ich im Bierzelt am großen See stand. Das Flair fehlte, das, was im Laufe der Jahrhunderte auf der Theresienwiese zur Tradition gewachsen ist und sich nicht ganz genau fassen lässt. Manchmal erhascht man noch einen Hauch davon in der vorgeglühten, trachten-trashigen Menschenmenge. Für mich Grund genug, auch dieses Jahr wieder auf ein Bier, ein paar Schmankerl und gute Musik vorbeizuschauen – auch wenn’s die Oide Wiesn wird.