„Weine nicht …“

… wenn der Regen fällt!“, singt die Kindergärtnerin und treibt ihre Gruppe wasserdicht verpackter Schützlinge durch die verkehrsberuhigte Innenstadt. Und während ich noch denke, wie cool ist das denn, singe ich ihr schon entgegen: „Dammdamm, dammdamm!“ Wäre das ein Film, würden wir jetzt zusammen die nächste Zeile anstimmen: „Es gibt einen, der zu dir hält.“ „Dammdamm, dammdamm.“ Dann, die Kamera fährt zurück und zeigt die gesamte Szene, schieben die hier ebenfalls herumschlurfenden Rentner plötzlich voller Verve ihre Rollatoren aus dem Bild und heben zum großen Flashmob-Refrain-Crescendo an: „Marmor, Stein und Eisen brihihicht …“ Aber das ist die Provinz, die ostwestfälische, nein, ganz korrekt: lippische Provinz, und so nicken wir uns nur verschmitzt zu und ziehen unserer Wege durch den Nieselregen. Und mir fällt auf: Das ist hier so. Viele machen sich den Tag so nett wie möglich, mit einem kleinen Scherz ganz für sich. Irgendwas Nettes gibt es ja immer oder fällt einem so nebenbei ein. Findet sich jemand, der mitmacht, gut. Nötig ist das aber nicht, weil den Spaß hat man ja schon. Die ersten Wochen hier war ich regelrecht geflasht, wie freundlich die meisten Menschen sind, ich wurde fast schon misstrauisch. Die Großstadt hat mich anscheinend verändert, ich rechne nicht mehr mit Nettigkeit mal einfach so und habe gelernt, mich mehr in mich zurückzuziehen, um die vielen verschiedenen Energien, die im bevölkerungsreichen München beständig auf mich einströmen, zu verkraften oder um mich ihnen nicht permanent und vollkommen auszusetzen. Dann das Tempo: Kaum verlasse ich das Haus, falle ich routinemäßig in meinen München-Stakkato-Schritt. Spätestens in der hiesigen Fußgängerzone bremsen mich die älteren Herrschaften aus, die im Ort nicht nur kuren, sondern auch ihren Lebensabend in Zeitlupe genießen. An der Kasse bezahlen sie die Münzen einzeln abzählend und beim Bäcker wird laut überlegt, welches Brötchen es zum Abendbrot sein soll. Und es kommt zum Geplänkel mit den anderen Käufern, den Verkäuferinnen. Und alle scheinen für einen kurzen Plausch bereit zu sein. Letztens, als ich mit dem Fahrrad unterwegs war, kam es an einer Kreuzung zu einer Art Gemengelage. Da ich links abbiegen wollte, dachte ich, ich warte mal ab, bis sich das Gröbste aufgelöst hat. Da winkte mir doch glatt eine Autofahrerin zu und wollte mich vorlassen. Sie hatte aus Rücksicht auf mich extra angehalten und hätte auf ihre Vorfahrt verzichtet: Ich glaube, das kommt in München so derartig selten vor, das würden die Zeitungen melden. Hat das Leben in der Provinz auch eine Kehrseite? Die Ruhe, eine Art Stiller Ozean an Land. In die muss ich mich erst noch einfinden, aber das regelt vielleicht die Zeit. Im Wald. Im Garten. Am Kräuterbeet. Beim Ins-Grüne-Blicken.