… nannte eine Freundin ein Gratisgeschenk, das mir im Discounter gemacht wurde. Ich wollte es ja „Symptomatiklöffel“ nennen …, aber der Reihe nach.
An der Kasse des Einkaufszentrums sehe ich, wie eine Kundin vor mir Lebensmittel aufs Laufband legt, die als solche nicht mehr bezeichnet werden können. Innerlich ploppen in mir alle Ratschläge aus Gesundheitsbüchern, -kolumnen und -sendungen hoch, die im Monatstakt so rausgehauen werden: vitaminreich essen, möglichst frisch kochen, wenig Prozessiertes essen. Und ich sehe Ernährungsberater*innen alles aus dem Einkaufswagen vor mir entfernen und noch mal von Grund auf neu bestücken. Die Frau wirkt so grau und trist, wie die von ihr zusammengetragene leblose Nahrung. Als sie zahlt, bekommt sie noch etwas extra dazu. Ich achte nicht mehr wirklich drauf. Bis ich selbst an der Reihe bin und etwas umsonst dazu bekomme. Daraufhin fällt mir ein, ich habe dieses Ding bereits vor Wochen auf einem großen Werbeplakat gesehen und mir die Haare gerauft: Es ist ein Löffel, mit dem man – auch wenn man ihn ganz volllädt – 20 Prozent Zucker sparen kann. Denn: Er hat in der Mitte einen kleinen Hubbel, der uns schlank und gesund macht, ganz ohne Verzicht, ganz ohne unser Leben ändern zu müssen. Das Unternehmen stellt ausdrücklich in Aussicht, dank ihm seine Gewohnheiten NICHT ändern zu müssen und toppt das mit dem Ausruf: „Für ein bewussteres Leben!“ Yup! Geht klar!
Ich fühlte mich gelinde gesagt ver …äppelt: Ein Großteil des schädlichen Zuckers ist versteckt in den vorproduzierten Lebensmitteln, den Fertiggerichten, den Halbfettmilchprodukten, der geht da auch nicht durch Schütteln raus (der Discounter verspricht, ihn bei seinen eigenen Marken in den nächsten fünf Jahren reduzieren zu wollen). Damit die Kunden – bis dahin? – gesund bleiben oder sich daran gewöhnen, wie grauenhaft Convenient Food mit weniger Zucker schmeckt, macht es also total Sinn, ihnen beim Sparen von Zucker zu helfen, den sie sich, klar!, massenhaft in den Kaffee/Tee löffeln. Und: Der Kunde ist ja offensichtlich bereits degeneriert, er schafft es nicht selbst, nur einen halben Teelöffel Zucker abzumessen. Zum Beispiel mit einem eigenen Teelöffel aus der gut bestückten Besteckschublade. Oder noch revolutionärer: Er lässt Zucker und Löffel einfach links liegen. Nö, der Hubbellöffel kann’s besser, und zwar, ich zitiere, „im Handumdrehen“! Ich sehe die Leute schon statt einen Normal-Teelöffel Zucker, zwei Hubbelteelöffel nehmen, schmeckt ja sonst nicht!
Und plötzlich fand ich das so symptomatisch für unsere Zeit: Anstatt etwas einfach zu lassen, muss etwas produziert, beworben, verkauft und verwendet werden, damit wir lassen können, was das Lassen untergräbt. Lassen pur ist anscheinend unpopulär – oh, dieser Schmerz der Veränderung. Oder ungewohnt? Da kann man dann nichts vorweisen? (Wedelt wild mit dem Hubbellöffel!) Um die Umwelt zu schützen, muss ich ja auch öko kaufen: Jutetaschen, Sisalnetze, Biobaumwoll-Jeans, Bio-Kaffee oder Pullover, von denen ein Teilerlös in den Schutz des Meeres fließt. Und dieser Nichtverzicht führt dann zu mehr Verpackungsmüll als je zuvor in Deutschland. Aber hey, da hat der Discounter aber sowas von aufgepasst und uns die Verantwortung auch da abgenommen: Der Löffel klemmt auf einem umweltfreundlichen Karton, na gut, festgezurrt mit einem, also wirklich winzigem, Plastiksteg. Da verschluckt sich höchstens mal ein Vögelchen dran.
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