Rosen im Plastikmüll

Während alle Welt überlegt, wie Plastik aus dem Meer, von Feld und Wiese entfernt werden kann, kämpfe ich gerade mit dem umgekehrten Problem: Wie kriege ich kleinteiliges organisches Material wieder aus dem gelben Sack? Mülltrennung und Demenz – das geht gar nicht. Es helfen weder Erklärungen, Vormachen noch ständiges Erinnern: Bin ich nicht dabei, landen die verblühten Rosen, der abgeschnittene Efeu, jedes kleine Graswürzelchen im Plastikmüll. Dabei steht die grüne Tonne praktischerweise unter der Terrasse, sie wäre viel besser und schneller zu erreichen. Aber Logik hilft hier nicht weiter. Schritt-für-Schritt-Begleitung bringt’s. Allerdings ist sie wahnsinnig flink! Drehe ich mich nur mal kurz um, landet zack! die nächste Ladung Rausgerupptes auf den Kunststoffverpackungen.
Beim Nachsortieren ging ich der Plastikspur in meinem Leben nach: Unvergessen die schweinchenrosafarbene Milchkanne mit der ich als Kind loszog, um mir im Laden einen Liter Milch hineinpumpen zu lassen. Und wie köstlich und beruhigend fand ich es, auf dem Nachhauseweg (unter dem Grollen eines heraufziehenden Gewitters) immer mal wieder einen Schluck davon zu trinken. Den Plastikton nahm ich als angenehmen Nebengeschmack wahr, diese Milch unterschied sich deutlich von der aus der Tasse. Sie schmeckte aber auch anders als die Milch und der Kakao aus Plastikbechern, die wir im Kindergarten und in der Schule bekamen. Kakao war immer etwas teurer, weshalb meine geniale (und sparsame) Mutter zu meinem Entzücken zwei Löffel Instant-Kakaopulver fürs Selbermixen in eine leere Negativfilmrolle füllte (die Dosen besitze ich heute noch – inklusive Schwarzweißfilmen am langen, schillerlockigen Stück). Ein weiteres Plastikhighlight war meine Klarina (für 22 Euro könnte ich sie heute bei Ebay bekommen). Die habe ich jahrelang gespielt, sie war schön leicht, schön bunt, schön quietschig-laut und, vor allem, schön erschwinglich. Welches Plastik ist mir noch in Erinnerung? Dieses Klick-Klack-Spiel, bei dem man durch schnelles Schwingen zwei Plastikkugeln rhythmisch aneinanderknallen lässt, ein Barbie-Imitat, die Polyesterhemden meines Vaters (meine Mutter hatte bügelfrei), Traubenzucker aus ultralangen, dünnen Plastikschläuchen – auch hier schmeckte der Zucker grandios ANDERS. Wahrscheinlich bestand mein erstes Federmäppchen aus Kunststoff, die Brillen, die ich tragen musste, bis meine Augen operiert wurden, meine Puppen, die auf der Kirmes gewonnenen Teddys, und überhaupt die Jetons zum Karussellfahren. An Plastikverpackungen für Lebensmittel erinnere ich mich fast gar nicht: Das Gemüse und Obst wuchs im Schrebergarten und wurde in Körben heimtransportiert und zum Teil in Gläsern eingekocht. Brot, Wurst, Fleisch und Geflügel wurden in Papier ganz ohne dünne Plastikschicht eingeschlagen. Pudding kochte man zwar manchmal mit Fertigpulver (Zitronen-Sahnecreme, mmmmh), aber füllte ihn in die guten Dessertschälchen aus Glas. Als Gymnasiastin war ich Teil der „Jute-statt-Plastik“-Bewegung, um den Verbrauch von Plastiktüten zu reduzieren. Im Studium trug ich andererseits haufenweise Plastiktüten in die UdSSR – die waren dort damals genauso ein Statussymbol wie Nylonstrumpfhosen.
Plastik selbst müsste kein Problem sein, denke ich gerade. Es ist eher unser Umgang damit: Wir und die (Lebensmittel-)Industrie benutzen es, muss ich das noch schreiben?,  im Übermaß. Bessere Entsorgung oder Wiederverwendung und neue Verpackungsideen im großen Stil wären hilfreich. Vor ca. 40 Jahren machte eine Fernsehsendung mir Hoffnung auf Bio-Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen, das damals kurz vor dem Durchbruch zu stehen schien. Was ist da eigentlich voran gegengen? Wird so etwas politisch gefördert oder verhindert? Und auch ein großer, sich ziemlich umweltfreundlich gebender Drogeriemarkt beschied mir auf Anfrage, es gäbe z.B. für Flüssigwaschmittel keine Alternative zu Plastikflaschen. (Ich hatte eine Art Weinschlauch im Karton vorgeschlagen, ein Pfandsystem für Waschmittelflaschen oder Nachfüllstationen.)
Ich öffne mal wieder den Deckel zum Gestell, in dem der gelbe Sack hängt. Und finde rosafarbene Rosen. Gut eingewickelt in Plastik. Irgendetwas von meinem Erklärungsversuch ist also bei ihr hängengeblieben. Und Rosenblätter erfreuen ja immer, auch die Sortiererin.